Zwischen Kurmainz und Baden

…schauten mal kurz die Fürstenhäuser Leiningen und Salm-Reifferscheid-Krautheim vorbei….

Mit dem Reichsdeputationshauptschluss 1803 wurden u.a. die ehem. Kurmainzischen bzw. zum Hochstift Würzburg gehörigen Gebiete der heutigen Gemeinden Tauberbischofsheim und Großrinderfeld den Fürstenhäusern Leiningen und Salm-Reifferscheid-Krautheim zugeschlagen. In einem Zusatzvertrag regelten die beiden Fürstenhäuser ihre hiesigen Besitzverhältnisse im Jahr 1805 noch emsig, bevor sie dann 1806 schon wieder ihre staatliche Souveränität mit der Gründung des Großherzogtums Baden verloren. Der Vertrag von 1805 enthält dennoch einige interessante Details.

Im Heiligen Römischen Reich herrschten bis drei Jahre vor seinem Ende im Jahr 1806 in der Main-Tauber-Region großteils Kurmainz und das Hochstift Würzburg. Zu Kurmainz gehörte u.a. das Oberamt (Tauber-)Bischofsheim, dem kurz vor dem kurmainzischen Ende 1803 z.B. auch die Dörfer Großrinderfeld und Schönfeld zugeteilt waren. Dem Hochstift Würzburg unterstanden zu dieser Zeit u.a. die Ämter Grünsfeld und Lauda mit den Dörfern Gerchsheim und Ilmspan:

Abbildung: Herrschaftsgebiet und Ämtergliederung um 1790 in der Main-Tauber-Region (Quelle: leo-bw.de)
Herrschaftsgebiet und Ämtergliederung um 1790 in der Main-Tauber-Region (Quelle: leo-bw.de)

Mit dem Reichsdeputationshauptschluss und der damit verbundenen Säkularisation war es dann im Jahre 1803 mit der Herrschaft des Kürfürstentums Mainz und des Hochstifts Würzburg vorbei. Die Machtverhältnisse wurden neu verteilt. Die Grafschaft Salm-Reifferscheid stieg zum Fürstentum auf und erhielt ebenso wie das Fürstentum Leiningen für ihre linksrheinischen Territorialverluste viele ehem. kurmainzischen bzw. würzburgischen Gebiete zugesprochen. In der Main-Tauber-Region fielen so u.a. das Oberamt Bischofsheim und das Amt Grünsfeld an das Fürstentum Leiningen. Da Leiningen aber auch die Abtei Amorbach zugesprochen bekam, wurde im Deputations-Hauptschluss geregelt, dass das neue Fürstentum Salm-Reifferscheid-Krautheim als Ausgleich dafür von Leiningen für Amorbach eine jährliche „Rente“ von 32.000 Gulden (entspricht ungefähr einer Kaufkraft von heute über 650.000 EUR) zu erhalten habe. Eine unbefristete, jährliche Zahlung in dieser enormen Höhe behagte Leiningen natürlich nicht, weshalb es noch im Laufe der Regensburger Hauptschluss-Verhandlungen 1802 in Unterverhandlungen mit dem Hause Salm-Reifferscheid eintrat. Schnell kam man überein, dass Salm-Reifferscheid auf die jährliche Forderung über 32.000 Gulden verzichtet, wenn Leiningen dafür einige der ihm zugesprochenen Gebiete an das Haus Salm-Reifferscheid übergibt: Das Kloster Gerlachsheim, das gesamte Amt Grünsfeld und das zum Amt Lauda gehörige Dorf Distelhausen.

Abbildung: Die Machtverhältnisse in der Main-Tauber-Region in napoleonischer Zeit (1806)  (Quelle: leo-bw.de)
Die Machtverhältnisse in der Main-Tauber-Region in napoleonischer Zeit (1806) (Quelle: leo-bw.de) Erläuterung zur Karte hier.

Damit blieb der herrschaftliche Flickenteppich in der Region zwischen (Tauber)Bischofsheim und der bayerischen Landesgrenze weiterhin bestehen, die Grenzverhältnisse waren ziemlich verworren und undurchsichtig. Besonders im Grenzbereich der Ortschaften Großrinderfeld, Gerchsheim und Ilmspan. Den beiden Fürstenhäusern dämmerte schnell, dass hierin großes Konfliktpotential liegt. Und so setzten sich die beiden Fürsten – Carl Friedrich Wilhelm Fürst zu Leiningen und Franz Wilhelm Joseph Anton zu Salm-Reifferscheidt(-Krautheim) – 1805 noch einmal zusammen und bastelten einen Zusatzvertrag, in welchem sie die Besitzverhältnisse konkretisierten. Eine Abschrift (dictatum ratisbonae per Archicancellarienfem, „Regensburger Diktat des Erzkanzlers“) findet sich online abrufbar in der Digitalen Bibliothek des Münchner DigitalisierungsZentrums (MDZ).

Abbildung: Zusatzvertrag zum Reichsdeputationshauptschluss zwischen dem Fürstentum Leiningen und dem Fürstentum Salm-Reifferscheidt-Krautheim
Adressaten und Absender des Zusatzvertrags zum Reichsdeputationshauptschluss zwischen dem Fürstentum Leiningen und dem Fürstentum Salm-Reifferscheidt-Krautheim (Quelle: MDZ)

Wenn zwei hochwohlgeborene Fürsten Anfangs des 19. Jahrhunderts ihrer hochgeachteten Reichsversammlung schreiben, resultiert das allerdings in einem huldvollen Gesülze, welches das gesamte Dokument nahezu unerträglich in die Länge zieht und damit auch nicht gerade zum inhaltlichen Verständnis beiträgt…

Denen hochwürdigen, hoch- hochwohl- und wohlgeborenen Herren, des heil. römischen Reichs Kurfürsten, Fürsten und Ständen zur allgemeinen Reichsversammlung bevollmächtigten Herren Räthen, Botschaftern und Gesandten. Unsern insonders hoch- und vielgeehrten Herren. (…)
Hochwürdige, Hoch- und Hochwohl- auch Wohl- und Hochedelgeborne, Hochgelehrte, insonders hoch- und vielgeehrteste Herren! (…)
Wir Carl Friedrich Wilhelm von Gottes Gnaden Fürst zu Leiningen, Pfalzgraf zu Mosbach, Herr zu Miltenberg, Amorbach, Düren, Bischoffsheim, Hardheim und Lauda
und
Wir Franz Wilhelm von Gottes Gnaden regierender Fürst zu Salm-Reifferscheid-Krautheim
urkunden und bekennen hiermit für uns, unsere fürstliche Erben und Nachkommen: (…)
Zur steten und unverbrüchlichen Festhaltung gegenwärtigen Vertrags verbinden Wir Carl Friedrich Wilhelm regierender Fürst zu Leiningen und Wir Franz Wilhelm regierender Fürst zu Salm-Reifferscheid-Krautheim uns bey Fürstlichen Ehren und Worten, Treuen und Glauben, und haben in Urkund dessen solchen eigenhändig unterschrieben, und unsere Fürstliche Innsiegel vordrucken lassen. So geschehen Amorbach und Gerlachsheim den 15ten und 25ten April 1805 (…)
Wir verharren mit den Gesinnungen der vollkommensten Hochachtung und Ergebenheit
Euer Exzellenzien
dienstwillig ergebene und bereitwillige
Amorbach, den 6.May 1805 Carl F. z. Leiningen
Gerlachsheim, den 14.May 1805 Franz, regierender Fürst und Altgraf zu Salm-Reifferscheid-Krautheim

Wenn man den gesamten Text also erstmal ordentlich entschwurbelt, bleibt schließlich als Ergebnis folgender Inhalt:

Die beiden unterzeichneten Parteien – das Fürstenhaus Leiningen (nachfolgend: FL) und das Fürstenhaus Salm-Reifferscheidt-Krautheim (nachfolgend: FSRK) – erläutern anfangs, dass sie bereits während der Deputationsverhandlungen in Regensburg (1803) einen Vertrag geschlossen hätten: FL muss für den Erhalt der Abtei Amorbach nicht jährlich 32.000 Gulden Rente an FSRK zahlen. FSRK erhält im Gegenzug von FL die Ämter und Probsten Grünsfeld und Gerlachsheim, und das Dorf Distelhausen.
Zur näheren Spezifikation des betreffenden Territoriums wird nachfolgende Vereinbarung geschlossen.
Die beiden Parteien bitten darum, dass diese Vereinbarung den Protokollen des Deputations-Hauptschlusses beigefügt wird.

Statt des Vollzugs des im Reichdeputations-Hauptschluss vom 26.9-8.10.1802 festgelegten Urteils, dass das FL für den Erhalt der Abtei Amorbach dem FSRK eine jährliche Rente von 32.000 Gulden zu zahlen habe, haben sich beide Parteien schon damals geeinigt, dass das FL dem FSRK stattdessen das Kloster Gerlachsheim und das Amt Grünsfeld überlässt, FSRK verzichtet nun aber auf das ihm ursprünglich zugeschusterte, zum Amt Lauda gehörige Dorf Distelhausen. Um zu vermeiden, dass es zwischen beiden Häusern aufgrund evtl. unklarer lokaler Verhältnisse zu Unstimmigkeiten kommt, wird diese Übereinkunft nun noch mit nachfolgendem Vertrag spezifiziert:


1.) FL überlässt FSRK die Abtei Gerlachsheim und das Amt Grünsfeld

2.) FL überlässt FSRK das zum Oberamt Bischofsheim gehörige Dorf Poppenhausen exklusive des Bischofsheimer Zoll-Regals

3.) FL überlässt FSRK die Cent-Gerichtsbarkeit in Gerlachsheim, Kützbrunn, Impfingen und Gerchsheim (soweit diese ehem. kurmainzisch war)

4.) FL überlässt FSRK die Jagdgerechtigkeit auf Gerchsheimer und Impfinger Gemarkung; die Jagdgerechtigkeit auf Distelhäuser und Laudaer Gemarkung bleibt wie bereits am 11.12.1802 indirekt festgelegt auch bei FSRK

5.) Wälder des FSRK, welche auf dem Territorium des FL liegen: Fortswirtschaftlich hat FSRK das alleinige Nutzungsrecht, alle anderen Rechte wie Ahndung von Frevel, Tätigungen, Mast und Jagd bleiben dagegen dem FL vorbehalten

6.) FL überlässt FSRK alle Gefälle (Zehnden, Gülten etc.), die bisher von der Amtskellerei Bischofsheim in den jetzt salmischen Ämtern Grünsfeld und Gerlachsheim bezogen wurden. Ebenso alle Rechte und Gefälle, welche die ehem. Domkellerei Bischofsheim in dem jetzt salmischen Amt Grünsfeld besessen hat. (FSRK hat dafür aber auch alle darauf liegenden Lasten zu tragen.)

7.) FL überlässt FSRK alle Renten und Gefälle, welche FL durch die Kellereien Bischofsheim und Lauda aus der ehem. Abtei Gerlachsheim und Grünsfeld bezogen hatte.

8.) Der Zoll zu Gerchsheim war und bleibt dem Oberamt Bischofsheim (und damit nun Leiningen) gehörig. Und deshalb bleibt auch die seit langen Zeiten in Gerchsheim stehende Zollstätte bestehen, bis FL eine bessere Stelle gefunden hat.

9.) FSRK verzichtet dafür aber auf das im Regensburger Sessions-Vertrag zugesicherte Dorf Distelhausen (Amt Lauda) zugunsten FL.

10.) FSRK tritt die Cent-Gerichtsbarkeitsrechte in Dittwar und Schönfeld (beide FL) incl. Jagd-Gerechtigkeit zu Schönfeld an FL ab.

11.) FSRK tritt die Jagd-Gerechtigkeit in Dittigheim (FSRK) – aber nur links der Tauber – an FL ab.

12.) Aufgrund dieser Vereinbarung erklärt FSRK, dass die beim Reichsdeputationshauptschluss 1802 festgelegte Rentenzahlung von jährlich 32000 Gulden von FL an FSRK ungültig/hinfällig geworden ist.

13.) Zur gegenseitigen Befriedigung haben sich beide Parteien verständigt, eigene Gefälle, die im Territorium des anderen liegen, gegeneinander auszutauschen. [also im Prinzip eine Art von Flurbereinigung]

14.) Aus selbigem Grund, insb. bzgl. der Grenzen (Cent- Jagd- und Territorial) – v.a. bei Gerchsheim – wird beschlossen:

  • Die Cent- Jagd- und Territorial-Grenze von Gerchsheim gegen Unter- & Oberaltertheim ist die abgesteinte Gerchsheimer Gemarkungsgrenze
  • Ab dem Punkt, wo an der Weinstraße Gerchsheimer und Oberaltertheimer Gemarkung zusammenstoßen, wird die Weinstraße auch in der Form zur Grenze zwischen Gerchsheimer Jagd und Cent, dass auf dieser in einer Breite von 24 Schuh dem FL Zoll, Cent, Geleit und Hoheit wie seit jeher verbleibt – und zwar bis zu Stein Nr. 113 (wo die Weinstraße in das FL-Territorium übergeht)
  • Ab jenem Stein Nr 113 zieht die Grenze längs dem Graben zwischen FSRK-herrschaftlichem Wald und Gerchsheimer Äckern Richtung Gerchsheim (ca 180 Schuh lang)
  • und dann zwischen FL-Wald und Gerchsheimer Feldern über die Chaussee längs des gerade verlaufenden Grabens bis zum Würzburger Hospitalwald (auf Gerchsheimer Gemarkung)
  • und dann zwischen diesem und den angrenzenden Privat- und Güterhölzern einerseits und dem FL-Wald andererseits längs der Absteinung bis wieder an die Weinstraße (gegenüber Stein 107).
  • Jetzt zieht die Grenze so längs der Weinstraße, dass auf der einen Seite der Spitalwald (Richtung Gerchsheim) und auf der anderen Seite die Weinstraße selbst liegt. Und das soweit, bis sie von der Weinstraße abwärts Richtung Gerchsheim zwischen dem Spitalwald rechts und dem FL-Wald links trennt.
  • Ab dem Punkt der Weinstraße, wo Spitalwald und FL-Wald wieder zusammenstoßen, zieht die Grenze zwischen Spitalwald und Gerchsheimer Gemarkung – und dem FL-Wald von der Weinstraße ab waldeinwärts in gerader Linie am Wertheimer-Holz und einem FSRK-Wald vorbei bis aufs
    Ackerfeld „Herrleinswiese“ (wo der Spitalwald endet). Alles rechts dieser Linie (von der Weinstraße aus gesehen) liegt auf Gerchsheimer Gemarkungen, die linksseitig liegenden Wälder sind aber FL-Territorium.
  • Jetzt zieht die Grenze zwischen Gerchsheimer Acker und FL-Wald
  • danach zwischen Gerchsheimer Acker und FSRK-Wald – und zwar bis an die Spitez jenes Waldes, wo der Rorenseer Acker anfängt und die Rorenseer und Gerchsheimer Gemarkungen mitten durch den Acker (mittels Grenz- und Marcksteinen) sich scheiden. Von der Waldspitze an bilden also die vorhandenen Grenzsteine die korrekte Grenze. Alles rechts ist Gerchsheimer, alles links FL-Rorenseer Gebiet
  • Ab hier (Waldspitze, wo der Gerchsheim-Rorensee-Märker nahe des Waldrands im Acker steht), zieht die Grenze…
  • …zwischen Gerchsheimer und Schönfelder,
  • …Gerchsheimer und Ilmspaner und dann
  • …zwischen Gerchsheimer und Großrinderfelder Gemarkung (gemäß Absteinung)
  • und dann längs der Absteinung zwischen Gerchsheimer und Großrinderfelder Gemarkung bis an die Grenze der Steinbacher, Unter- und Oberaltertheimer Gemarkung (und zwar so, dass alles, was rechts gegen Gerchsheim liegt auch Gerchsheimer Cent-, Jagd- und Hoheit ist, alle links gelegen Wälder und Gemarkungen aber zu FL-Territorium, -Jagd & -Cent gehören (sofern die Gemarkungen die ansonsten üblichen FL-Gemarkungen betreffen)

    Diese und alle anderen FL-FSRK-Grenzen sollen mit Territorial-Stöcken (welche das beiderseitige Wappen tragen) durch eine Lokal-Beamten-Kommission im Frühjahr 1806 versehen werden.

    AUSGENOMMEN von dieser Abtretung bleibt jedoch das dem FL zustehende Geleitrecht von den Geleitsäulen auf der Weinstraße bis durch den Ort Gerchsheim. Hinsichtlich des Zolles und Geleits auf der Weinstraße bleiben die bestehenden Regeln in voller Kraft.

Eine detaillierte Beschreibung dieses ganzen Hin- und Hergeschacheres im Jahr 1805 also. Ironie der Geschichte: Letztendlich war alles viel Lärm und nichts, denn schon ein Jahr später drängte Napoleon 16 deutsche Fürsten in der am 12.7.1806 geschlossenen Rheinbundakte zum Austritt aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, was faktisch dessen Ende war. (Kaiser Franz II. legte die Reichskrone dann schließlich am 6.8.1806 nieder und nannte sich fortan Franz I., Kaiser von Österreich.) Auch unsere beiden Fürsten verloren mit dieser Mediatisierung schon wieder ihre Regierungsmacht – auch über die gerade erst so mühevoll untereinander aufgeteilten neuen Gebiete im Main-Tauber-Gebiet, die nun vom neu gegründeten Großherzogtum Baden geschluckt wurden (südlich von Edelfingen vom Königreich Württemberg).

Besonders interessant am Vertrag ist aber darüber hinaus die genaue Grenzbeschreibung um Gerchsheim herum. Da davon auszugehen ist, dass dieser Grenzverlauf noch denjenigen vor 1803 widerspiegelt, beschreibt er also auch die alten Grenzen der zum Hochstift Würzburg gehörigen Gemarkung Gerchsheim zu den Nachbargemarkungen Unter- und Oberaltertheim, Kist/Irtenberg/Guttenberg, Ilmspan (alles Hochstift Würzburg), Schönfeld und Großrinderfeld (beides Kurmainz). Sogar der abgegangene Ort Rohrensee ist noch erwähnt. Die Grenzbeschreibung kann sich also noch als sehr nützlich für Feldforschungen erweisen, zum Beispiel bei der Suche nach alten Grenzsteinen, Grenzwegen oder sonstigen Relikten alter Grenzen. Entsprechende Expeditionen sind freilich schon in Planung, mögliche Entdeckungen werden dann selbstverständlich in Funk und Fernsehen bestaunt werden können 😉

Auf ein potentiell zu findendes Grenzrelikt aus etwas jüngerer Zeit, nämlich der unserer beiden hochwohlgeborenen Fürsten zu Leiningen und zu Salm-Reifferscheidt weist der Vertrag am Ende sogar direkt hin: Territorial-Stöcke, welche „das beiderseitige Wappen tragen“ und durch eine Lokal-Beamten-Kommission im Frühjahr 1806 errichtet werden sollen. Also nur wenige Monate, bevor sie dann durch die Regierungsentmachtung unserer beiden Herrschaften jegliche Funktion eingebüßt haben. Oder hätten. Schwer abzuschätzen, wie viele dieser Territorialstöcke die Lokal-Beamten-Kommission schon gesetzt hatte, bevor sie dann durch Napoleon ausgebremst wurde. Müsste man sich halt mal auf die Suche begeben, die so schön beschriebene Grenze ablaufen. Vielleicht stolpert man ja über einen Territorialstock. Wenn man eine vage Ahnung davon hat, wie er denn aussehen könnte. Ein normaler Grenzstein ist das nicht, den Grenz- und Marksteine werden im Vertrag ja als solche erwähnt. Muss also etwas Größeres sein. darauf deutet ja auch der Name schon hin – Territorial-STOCK. Etwas längliches, höheres wohl, ähnlich einem ZollSTOCK, ZigeunerSTOCK oder BildSTOCK halt. Und tatsächlich sind zwei umtriebige Grenzgänger vom HKV Großrinderfeld schon längst auf etwas Rätselhaftes gestoßen, was sich als ein solcher Territorialstock ziemlich verdächtig macht:

Artikel in den Fränkischen Nachrichten vom 20. Juli 2020

Zum Zeitpunkt des Fundes war der Vertrag mit den erwähnten Territorial-Stöcken noch nicht bekannt, weshalb erst mal von einem Zollstock ausgegangen wurde, da der Stein an der Gemarkungsgrenze Großrinderfeld-Gerchsheim neben einem alten Hohlweg (vermutlich eine Spur des Geleitwegs Nürnberg-Frankfurt) steht und der benachbarte Flurname „Zollstock“ heißt. Aufgrund seines Standortes wäre es nun aber mindestens genauso wahrscheinlich, dass es sich bei dem Steinfund tatsächlich um einen dieser Territorial-Stöcke handelt, die gemäß des obigen Vertrags im Frühjahr 1806 errichtet werden sollten. Womöglich war dieser Stein das Pilotprojekt, der erste Territorialstock, der hier an der Grenze zwischen leiningischem und salm-reifferscheidschen Territorium errichtet wurde – und vielleicht aufgrund der schon vor der Tür stehenden Ereignisse auch der letzte. Ein Unikat, ein Relikt aus einer kurzen Zwischenstation der Geschichte. Ob es noch weitere gibt, gilt es nun herauszufinden.

-Fortsetzung folgt-

Geleitwege, Zollstöcke und Zigeunerstöcke

Die Geleitwege zwischen Nürnberg bzw. Augsburg und Frankfurt, auf dem die Kaufmannszüge zur Frankfurter Messe zogen, verliefen durch unsere Gegend. Die Strecken waren eine der wichtigsten Fernstraßen des Mittelalters. Vermutlich sind sie noch älter. Auch außerhalb der Kaufmannszüge war auf diesen alten Wegen einiges los: Warentransporte nach Nürnberg bzw. Frankfurt aus der Main-Tauber-Region. Insb. der hiesige Wein war auch überregional ziemlich begehrt. Ein besonderes Spektakel war es zudem, wenn auf dieser Route vor einer Kaiserkrönung die Reichsinsignien von Nürnberg nach Frankfurt transportiert wurden.

Die Route verlief in unserer Region von Würzburg über den Nikolausberg (vielleicht aber auch über den Winterleitenweg und die Alte Steige (Höchberg)) nach Kist, vorbei am Irtenberger Forsthaus (welches auch eine Zollstation war), nördlich vorbei an Gerchsheim und Großrinderfeld (Alte Straße), durch den Großrinderfelder Forst nach (Tauber)Bischofsheim. Bischofsheim war die erste Übernachtungsstation nach Würzburg. Dann ging es weiter südlich vorbei an Külsheim (Hohe Straße) über Hundheim bzw. alternativ die Meßhöfe nach Tiefental, Neunkirchen und über die alte Steige runter nach Eichenbühl bis Miltenberg, welches die nächste Übernachtungsstation war. Die Straße war streckenweise in einem desolaten Zustand, was z.B. Akten und Briefwechsel aus dem 18. Jhd. drastisch schildern.

Aus Richtung Nürnberg bis Tauberbischofsheim gab es noch alternative Geleitrouten, die parallel (z.B. wetterabhängig) oder aber auch zu anderen Zeiten genutzt wurden:  Diese kamen aus Richtung Uffenheim dann in einer Variante über Aub und Simmringen nach Vilchband und von dort entweder über Zimmern und Grünsfeld nach Bischofsheim oder über Kützbrunn und Gerlachsheim nach Bischofsheim. In der zweiten Variante ging es aus Richtung Uffenheim über Bieberehren , Röttingen und Mergentheim nach Bischofsheim.

Geleit bedeutet, dass die Kaufmannszüge auf diesen Wegen beschützt wurden, um sie vor den damals häufigen Raubüberfällen zu schützen. (Auch Götz von Berlichingen z.B. hatte im Taubertal einen Augsburger Kaufmannszug überfallen.) Der Geleitschutz wurde von der jeweiligen Herrschaft (in unserer Region Hochstift Würzburg bzw. Kurmainz) an ihre jew. Ämter vor Ort übertragen. Es war genau festgelegt, welcher Streckenabschnitt von einem Amt geschützt werden musste: Von Wü bis zum Kalten Loch bei Kist (bzw. ab Ende des 16. Jhd. bis zu den Hoheitssäulen beim Irtenberger Forsthaus) bestand Würzburger Geleit, dann übernahm Kurmainz über sein Amt Bischofsheim bis zum Geleitsbaum oberhalb von Eiersheim, wo an Külsheim (ebenfalls Kurmainz) übergeben wurde. Külsheim bot das Geleit bis Tiefental, wo wieder Würzburg über sein Amt Miltenberg übernahm.

In der Praxis gab es zwei Varianten von Geleitschutz: a) bewaffnete Geleitreiter des jeweiligen Amtes begleiteten den Kaufmannszug auf ihrem jew. Streckenabschnitt. b) Die Ämter stellten Geleitbriefe aus, in denen den Kaufleuten Schutz gewährt wurde. Im Falle eines Überfalls hatten die Ämter dann für Entschädigung zu sorgen.

Das Geleit war kostenpflichtig. Die Kaufleute hatten Geleitgeld zu zahlen, waren dafür dann aber von allen anderen Zöllen (z.B. Wegzoll) befreit. Das Geleitgeld war für die Ämter eine wichtige Einnahmequelle. Daher bestand für die Kaufleute i.d.R. Geleitpflicht und ebenso die Verpflichtung, auf den Geleitwegen zu reisen.

Die Übergabestellen des Geleits waren durch Hoheitssäulen, Geleitsteine oder auch Geleitbäume markiert und meist an markanten Stellen: Die Furt durchs Kalte Loch (Kist), die Kreuzung des Geleitwegs mit der Weinstraße (Irtenberger Forst), der Geleitbaum am Beginn der Hohen Straße (Eiersheim/Külsheim) oder das Tiefe Tal des Otterbachs (Tiefental). Die Hoheitssäulen von 1584 im Irtenberger Forst stehen noch. Auf der Kurmainzischen Säule steht: „Mäintzisch Glaitd / Zent Zoll wildtban / hohe und nidere Oberkeit. A.“, auf der Würzburger (Julius Echter): „Wirtzburgisch Gelaid / Zennth. Wildban / Hohe und Nider / Obrigkeit. A.“

Zwischen den Geleitübergabestellen war der Geleitweg oft einseitig mit an Grenzsteine erinnernden Geleitsteinen markiert. Auf einem noch existierenden Würzburger Stein von 1595 ist das Echter-Wappen eingehauen, auf Bischofsheimer Steinen stand „B.D.“ (bischofsheimensis ductus). Zwischen Großrinderfeld und Gerchsheim finden sich auf Großrinderfelder Gemarkung am ehem. Geleitweg mehrere Steine mit der Inschrift „GD“. Die Bedeutung ist noch unklar. „Großrinderfelder ductus (Geleit)“ wäre naheliegend, muss aber in Frage gestellt werden, da Großrinderfeld kein Amt war. Das Dorf gehörte aber eine Zeit lang (vor 1585) anteilig zum Hochstift Würzburg und über die Grafen Rieneck zum Amt Grünsfeld. Grünsfelder Ductus?

UPDATE zum letzten Abschnitt: Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, ob es solche Geleitsteine abseits der Geleit-Übergabestellen überhaupt gab. (Die oben verlinkten BD- und Echter-Steine im Dittwarer Eisgrund könnten an der Gemarkungsgrenze Heckfeld (damit zu Lauda, damit zu Würzburg gehörig) und Dittwar (damit zu Bischofsheim (Kurmainz) gehörig) auch anders interpretiert werden.) Die Behauptung, dass es einseitig an der Geleitstraße BD-Steine gab, stammt von Gehrig in der Tauberbischofsheim-Chronik (1997). Allerdings -und das ist für seine Angaben in dieser Chronik ungewöhnlich- ohne Quellenangabe. Alle jedoch mir bisher bekannten in der Fachliteratur beschriebenen „Geleitsteine“ sind ausnahmslos Steine, die an Übergabestellen des Geleits von einer Herrschaft auf die andere standen. Zudem ist die von Gehrig postulierte Übersetzung „bischofsheimensis ductus“ problematisch. Bekannte Geleitsteine sind unmissverständlich benannt, auch für Nicht-Lateiner: GELAIT oder GLAIT(D). Auch unsere Hoheitssäulen im Irtenberger Forst (s.o.). Zudem heißt „ductus“ eher Führung, das Geleit ist im lateinischen eher „comitatus“ oder „conductus“. Und die Satzstellung ist auch problematisch, „comitatus bischofsheimensis“ wäre schon besser. dazu kommt noch: Bischofsheim war ja nur ein Mainzer Oberamt, das als nur das Kurmanzische Geleitrecht als „Behörde vor Ort“ durchführte. Also eher Bischofsheimer Mainzisches Geleit. CBM, CMB oder so, wenn schon lateinisch…

Geleitwege entstanden vermutlich mit der Entstehung der Städte und dem damit verbundenen Warenaustausch bereits im 13. Jhd. „Unsere“ Geleitwege gibt es spätestens seit 1318 (urkundliche Erwähnung). Im 18. Jhd. Verloren die Geleitwege allmählich an Bedeutung, ab 1803 (Reichsdeputationshauptschluss) war es dann mit dem Geleit vorbei.

Die Streckenführung der Geleitwege entspricht der aller anderen bis zum Mittelalter entstandenen Fernwege: Zwischen zwei Zielpunkten (z.B. Städte als Übernachtungsstationen wie bei uns Würzburg, Bischofsheim, Miltenberg) wurde eine möglichst direkte Verbindung versucht, wobei stets angestrebt wurde, auf Höhenzügen zu bleiben. Höhenzüge boten zwei Vorteile: Weitsicht als besserer Schutz vor Überfällen und nur selten sumpfige Passagen oder Gewässer, die gequert werden müssten. Ins Tal begab man sich nach Möglichkeit nur zum Übernachten (Städte liegen klassischerweise im Tal, an Flüssen). Steigungen ging man so direkt wie möglich an, geradeaus hoch (Steigen), selten seitlich zum Berg oder gar serpentinenförmig. Bei Steigungen (bzw. Gefällen) finden sich dann oft heute auch noch beeindruckende Relikte dieser alten, ehemals stark genutzten Straßen: Hohlwege, die sich über die Jahrhunderte tief in die Erde eingegraben haben. (Die von den Wagen und Zugtieren gelockerte Erde wurde aufgrund des Gefälles beim nächsten Starkregen mit fort gespült, so dass der Weg wieder ein klein wenig tiefer als seine Umgebung wurde.) In unserer Gegend finden sich eindrucksvolle Hohlweg-Abschnitte im Irtenberger Forst zwischen Forsthaus und Hoheitssäulen, im Sellinger-Wald zwischen Gerchsheim und Großrinderfeld, beim Teufelsloch nordöstlich von Tauberbischofsheim (Alternativroute des Geleitwegs oder Abzweigung nach Impfingen) und noch ein sehr kurzer Abschnitt beim Kalten Loch (zwischen A3 und Zufahrt zur Autobahnmeisterei). Erst mit dem Chaussee-/ Kunststraßenbau ab Mitte des 18. Jhd. Änderte sich die Streckenführung grundlegend. Straßen wurden massiver befestigt (Makadam), störende Böschungen abgetragen, Aufschüttungen vorgenommen, leichter und öfter Brücken gebaut. Starke Steigungen konnten nun vermieden, umfahren oder durch Serpentinen erleichtert werden, man konnte im Tal bleiben, eher die bequemste und nicht mehr die kürzeste und höchste Route suchen.

Noch heute haben manche Wege/ Wegabschnitte oder Flurstücke Namen, die auf solche alten Höhenzugs-Fernstraßen hinweisen: Hohe Straße, Alte Straße (evtl. vom lat. Strata alta = Hohe Straße). Auch Heerstraße, Römerweg, Kaiserweg, Napoleonsweg, Weinstraße (vom mitteldeutschen „woin“ = Wagen) sind gängige Bezeichnungen für solche alten Fernwege. In unserer Gegend heißt der Geleitswegabschnitt nördlich und nordöstlich von Großrinderfeld heute noch Alte Straße, auch im Großrinderfelder Forst Richtung Tauberbischofsheim findet sich wieder eine Alte Straße und ebenso ein Flurstück westlich von Großrinderfeld. Beim Irtenberger Forst gibt es noch Flurstücke „Weinstraße“, die auf diese Straße hindeuten, die hier bei den Hoheitssäulen einst den Geleitweg kreuzte. Bei Külsheim schließlich heißt der dortige Geleitwegabschnitt heute noch die Hohe Straße.

Ebenfalls charakteristisch für alte Fernwege ist, dass sich an ihren Wegrändern auffallend viele Kleindenkmale befinden. Bildstöcke sollten ja zum Beten animieren und wurden außerhalb von Siedlungsgebieten daher natürlich gerne an besonders frequentierten Stellen errichtet, idealerweise an Weggabelungen/-kreuzungen von Fernwegen. (Ausnahme: Bildstöcke, deren Errichtung an einen speziellen Ort gebunden ist, weil sich dort ein Unglück ereignete oder sie auf eigenem Grund und Boden errichtet wurden.) Noch auffallender ist aber, dass an Fernwegen besonders viele kleine, einfache Steinkreuze stehen: Sühnekreuze. Erst mit der peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. (constitutio criminalis carolina) im Jahre 1532 wurden die Leibes- und Lebensstrafen in einer Art Strafgesetzbuch verankert. Davor wurde z.B. Totschlag lokal mit Sühneverträgen geahndet. In diesen wurde von Fall zu Fall festgelegt welche Strafen dem Täter auferlegt wurden. Oft war dies die Errichtung eines Sühnekreuzes am Tatort, eine Pilger-/Wallfahrt für das Seelenheil des Verstorbenen und eine Geldzahlung an die Hinterbliebenen. Je mehr Menschen einen Weg passieren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für Straftaten dort, z.B. Überfälle. Schließlich finden sich an den Geleitwegen gelegentlich auch größere, feiner gearbeitete Kreuze, auf denen ein Richterschwert (als Symbol der Hohen Gerichtsbarkeit) eingehauen ist. Diese könnten eine Warnfunktion (Strafandrohung) für die Reisenden gehabt haben, in diesem Amtsbereich besser nichts Unrechtes zu tun. In unserer Gegend gibt es zahlreiche Bildstöcke am alten Geleitweg, z.B. nordöstlich von Großrinderfeld das Bögnersbild (heute versetzt), Walldürn-Wallfahrer-Bildstöcke östl. von Tauberbischofsheim, die „Drei Bilder“ (heute nur noch eines vorhanden) südlich von Eiersheim oder auch ein Bildstock mit Wegweiserfunktion (nach Miltenberg bzw. Külsheim) südwestlich von Eiersheim. Sühnekreuze stehen z.B. beim Flurstück „Kreuze“ (!) nördlich von Großrinderfeld, im Forstgrund östlich von Tauberbischofsheim oder auch an der Abzweigung von der Hohen Straße nach Külsheim im Taubenloch. Dieses sogar mit Inschrift, die den Raubmord an einem Bischofsheimer Siebmacher drastisch schildert: „ANNO 1590 DEN [LETS]TEN AUGUST [I] IST DER ERBAR ANDRES SCHMIT BURGER UND SIBER ZU BISHO FSHEIM AN DISEM ORT IAMER LICH ER MORDET WORDEN DEM GOT GENAT“.
Richterschwert-Kreuze (Gerichtskreuze) stehen z.B. im Teufelsloch westlich von Großrinderfeld (Gemarkungsgrenze Großrinderfeld – Impfingen) und am oberen Ende der Eichenbühler Steige.

Zoll, Zollstöcke und Zigeunerstöcke

Auch im Zeitalter des Geleits wurde nicht jeder auf einem Geleitweg reisende geleitet. Ein einzelner lokaler Händler z.B., der von seinem Wohnort in einen Ort der Umgebung auf den Markt ging, hatte sicherlich kein Geleit. Aber deshalb war er nicht zwingend von jeglichen Gebührenzahlungen befreit. Vielerorts wurde nämlich auch Straßen-/Wegezoll erhoben, von dem i.d.R. nur im Geleit Reisende befreit waren. (Manchmal gab es aber auch Übereinkommen zweier benachbarter Ortschaften, dass gegenseitig kein Wegezoll erhoben wurde.) Der Wegezoll sollte den Erhalt der Wege finanzieren, die damals noch sehr häufig ausbesserungsbedürftig waren.

Bezahlt werden musste dieser meist in der nächsten Ortschaft, manchmal auch in freistehenden Rast-/Wirtshäusern oder anderen am Weg liegenden Gebäuden (z.B. Irtenberger Forsthaus). Angekündigt -im Sinne einer Mahnung, den Zoll bloß nicht prellen zu wollen- wurde er mittels Zolltafeln oder Zollstöcken. Aber auch schon auf der freien Strecke, z.B. an günstigen Stellen wie Wegkreuzungen oder an Nadelöhren, wo der Weg nur schwerlich umgangen werden konnte, wie z.B. vor Brücken.

Der Begriff Zollstock wird in der Fachliteratur kontrovers diskutiert: Manche meinen, er bezeichnet eine Zolltafel, andere denken eher an einen Schlagbaum an einer Zollstelle. Vielleicht wurde der Begriff auch für beides verwendet. Blecherne Zolltafeln finden sich noch einige in diversen Museen, i.d.R. sind dies jedoch Tafeln, die direkt am Zollhaus angebracht waren und auf welchen die verschiedenen Zolltarife für diverse Waren gelistet waren. Zollstöcke -ob nun Zolltafel oder Schlagbaum- im freien Feld finden sich dagegen nahezu keine mehr. Viele waren sicherlich aus Holz und sind daher schon längst vermodert. Erhalten hat sich der Name Zollstock aber vielerorts noch als Flurname. Auch am Geleitweg zwischen Würzburg und Miltenberg häufiger. Zum Beispiel bei den Geleitsäulen im Irtenberger Forst, beim Richterschwertkreuz am Teufelsloch westlich von Großrinderfeld, beim Geleitsbaum südwestlich von Eiersheim oder auch beim Sellinger-Wald zwischen Großrinderfeld und Gerchsheim.

Dort beim Flurstück „Zollstock“ liegt östlich daneben an einer Senke das Flurstück „Brücke“. Heute ist da keine Brücke mehr zu finden, aber ihr früherer Bedarf lässt sich vor Ort nachvollziehen: Der heutige Straßenverlauf dort wird kaum der alte sein (Kunststraße, siehe vorne), denn der hier direkt westlich an der Straße liegende Hachtelwald wächst hier -zwar auf der Höhe, aber eben doch- in einer Senke. Diese scheint vor dem Kunststraßenbau sumpfig gewesen zu sein, auch unter der Landstraße hindurchführende Entwässerungsdrainagen weisen darauf hin. Der alte Geleitweg musste ein solches Sumpfgebiet umfahren. In diesem Fall offenbar mit einem kleinen Schwenk nach Südosten durch den Sellinger-Wald, zur Brücke an einer geeigneten Stelle über den Graben des Bächleins, welches einst aus dem sumpfigen Hachtelwald hier abfloss.  Eine Brücke – ein strategisch guter Ort für einen Zollstock also. Das daneben liegende Flurstück Zollstock weist ja dann auch mit Nachdruck darauf hin.

Und hier im Sellinger-Wald, beim Flurstück Zollstock, direkt vor dem Flurstück Brücke steht ein seltsamer, ca. 1m hoher, 30cm breiter und 20cm tiefer roter Buntsandstein. Er weist Wetzspuren auf, hat oben vier kleine, ca 2cm breite und tiefe Einkerbungen und neben ihm in der Erde finden sich Kohlestückchen. Vor und hinter ihm im Wald Hohlwegreste, zum Teil mehrere nebeneinander. Der Stein steht nur wenige Meter neben der Gemarkungsgrenze Gerchsheim (nach 1590 Hochstift Würzburg, davor u.a. anteilig Kurmainz) – Großrinderfeld (nach 1585 Kurmainz, davor u.a. anteilig Hochstift Würzburg). Die Vermutung liegt nahe, dass dies der Zollstock -Schlagbaum oder Zolltafel- sein könnte. In den vier Einkerbungen oben könnte eine blecherne oder hölzerne Zolltafel eingehängt gewesen sein, womöglich auch eine Schranke, i.S. einer Holzstange mit vier metallischen Haken, welche in die Kerben eingehängt wurden.

Vor diesem Stein konnte ein weiterer Buntsandstein aus dem Erdreich freigelegt werden:

Dieser massive Brocken misst 80x90cm bei einer Tiefe von ca 40cm. Er hat damit ein berechnetes Gewicht von mindestens 650kg. Oben mittig weist der Stein eine eingehauene rechteckige Mulde auf (Breite 30 cm, Länge 20 cm, Tiefe 13 cm). Da der stehende Stein exakt in diese Vertiefung hineingesteckt werden könnte, dürfte es sich bei dem freigelegten Stein vermutlich um den Sockel des stehenden Steines handeln. Hier stellt sich die Frage, wieso dann der Stein einst aus seinem Sockel genommen wurde, bloß um ihn sorgsam direkt dahinter wieder aufzustellen. Sorgsam auch deshalb, weil er an seinem neuen Standort sogar ringsum mit flachen Kalksteinen umrandet, verziert wurde. Womöglich wurde er damit symbolisch „außer Dienst“ genommen. Über die exakte Funktion dieses Steins zeigen sich alle bisher kontaktierten Experten ratlos (u.a. Landesdenkmalämter Baden-Württemberg & Hessen und Deutsches Zollmuseum). Die Vermutungen gehen von einem Zollstock (Zolltafel) über einen Schlagbaum, Poller bis zu einer Armsäule (alter Wegweiser, wo in die Einkerbungen oben dann hölzerne, beschriftete Arme eingesteckt gewesen wären) oder auch einem Zigeunerstock (s.u.). Welche Funktion der Stein auch immer hatte, es muss offensichtlich eine sehr wichtige gewesen sein und es muss dabei von großer Bedeutung gewesen sein, dass er exakt an seinem Standort bleibt, was der gewaltige, nahezu überdimensioniert wirkende Sockel zeigt. Auf die ehem. große Bedeutung weist darüber hinaus hin, dass es sich bei den beiden Steinen um Buntsandsteine handelt. An ihrem Standort gibt es keine Buntsandsteine, hier ist Kalksteingebiet. Die Sandsteinregion beginnt frühestens 6km weiter nördlich. Die zwei Steine, die zusammen über eine ¾ Tonne wiegen dürften, müssen also mit großem Aufwand kilometerweit transportiert worden sein.

UPDATE zum potentiellen Zollstock: Nach neueren Erkenntnissen könnte es sich beim dem rätselhaften Stein auch um einen sogenannten Territorial-Stock handeln, mit dem die Fürstenhäuser Leiningen und Salm-Reifferscheid-Krautheim im Jahr 1805/06 ihre kurzlebigen Herrschaftsgebiete voneinander abgrenzen wollten. Details dazu gibt es im Beitrag „Zwischen Kurmainz und Baden…“.

Ein weiterer Begriff, der in der Umgebung von alten Fernwegen immer wieder auftaucht, ist der Zigeunerstock (bzw. Zigeunerbaum). Hierbei handelte es sich um Tafeln, auf denen die Strafen für verschiedene Verbrechen dargestellt wurden. Sie sollten fahrendes Volk („Zigeuner“), Herumtreiber und Vagabunden eindringlich ermahnen, in dieser Gegend kein Unrecht zu begehen bzw. gar nicht erst diesen Herrschaftsbereich zu betreten. Zigeunerstöcke standen oft an günstigen Stellen wie Wegkreuzungen/-gabelungen oder auf den Plätzen, wo die Adressaten gerne ihr Nachtlager aufschlugen bzw. aufschlagen mussten. Wie die Zollstöcke sind auch die Zigeunerstöcke i.d.R. nicht mehr vorhanden, leben aber als Flurnamen an früheren Standorten oft noch weiter. In unserer Gegend gibt es zB westlich von Külsheim einen Flurnamen Zigeunerstock, wo die Landstraße (früher hier die Geleitstraße) auf die Straße Steinfurt-Steinbach trifft. Nördlich von Großrinderfeld, nahe Hof Baiertal, gibt es nicht weit entfernt von der Alten Straße ein Flurstück Zigeunersbaum.

Über unsere andauernden Versuche, den Streckenverlauf des Geleitwegs zwischen Würzburg – Bischofsheim – Miltenberg möglichst genau zu rekonstruieren, berichte ich hier:
https://wandertauber.wordpress.com/geleitstrasse/